"Echte" Rückwirkung? - Das Bundesverfassungsgericht zur Vermögensabschöpfung bei bereits verjährten Taten

Mit Beschluss vom 10.02.2021 (2 BvL 8/19) hat das Bundesverfassungsgericht zu einer -angesichts der betroffenen, noch offenen Verfahren- sehr bedeutsamen Frage aus dem Bereich der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, i.E. der Einziehung von Vermögenswerten im Strafverfahren, Stellung genommen.

Die Ausgangslage - Vermögensabschöpfung bei bereits verjährten Taten

Im Kern geht es um die Frage, ob die in Art. 316h Satz 1 EGStGB enthaltene Regelung, die die Vorschriften des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) (z.B. § 76a StGB) auch in Verfahren anwendbar macht, die Taten betreffen die vor dem 1. Juli 2017, also vor Inkrafttreten des Gesetzes, begangen wurden, auch in Fällen anwendbar ist, in denen die Taten nicht nur vor dem 1. Juli 2017 begangen wurden, sondern sogar bereits verjährt waren.

 

Hierzu ein kleines Beispiel:

 

A erlangt aus einem Betrug 10.000,00 €. Er beging/vollendete diese Tat am 12.01.2011, so dass die Verfolgung dieser Tat -ohne verjährungsunterbrechende oder -hemmende Maßnahmen- mit Ablauf des 11.01.2016 verjährt ist. Damit wäre nach altem Recht auch die Einziehung des Taterlangten ausgeschlossen. Eine sogenannte erweiterte Einziehung war dort nicht vorgesehen.

 

Mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl I S. 872), welches zum 1. Juli 2017 in Kraft trat, wurde mit dem § 76a StGB erstmals die Möglichkeit einer solchen erweiterten Einziehung in das Gesetz aufgenommen.

 

Die Regelung des § 76a Abs. 2 StGB ermöglicht es ausdrücklich, die Einziehung auch dann anzuordnen, wenn wegen der Tat durch die die einzuziehenden Vermögenswerte erlangt wurden, bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die erweiterte Einziehung hat auch seine eigene Verjährungsfrist bekommen, die gemäß § 76b Abs. 1 StGB 30 Jahre beträgt und wie die Verfolgungsverjährung mit Vollendung der Tat beginnt.

 

Im Beispielsfall hätte das Alles natürlich nicht geholfen, da die Verjährung bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten war. Oder?

 

Gemäß des -bereits zitierten- Art. 316h Satz 1 EGStGB sollen die neuen Regelungen auch auf Taten anwendbar sein, die bereits vor dem 1. Juli 2017 begangen wurden. Damit könnte eine erweiterte Einziehung auch im Beispielsfall erfolgen. Dies gilt auch und trotz des Umstands, dass die Tat im Beispielsfal nicht nur vor dem Stichtag begangen wurde, sondern zum Stichtag bereits verjährt war.

 

Und ob eben dies mit dem Grundgesetz vereinbar ist, entschied nun das Bundesverfassungsgericht.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Um es kurz zu machen: Das Bundesverfassungsgericht hält die Regelung und deren Wirkung, wie oben beschrieben, für mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Beschluss ist umfangreich begründet. Er umfasst 46 Seiten und ist hier abrufbar. Das Bundesverfassungsgericht hat auch eine entsprechende Pressemitteilung herausgegeben, welche auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts abrufbar ist.

 

Da eine umfassende Darstellung und ggf. Kommentierung des Beschlusses jegliche Grenzen eines Blog-Eintrages sprengen würde, sei nur in Kürze auf die wesentlichen Erwägungen des mit der Sache befassten Senats eingegangen.

 

Die erste zentrale Frage besteht darin, ob die Abschöpfung des durch Straftaten erlangten Vermögens eine Sanktion/Strafe darstellt. Wäre dies der Fall, wäre Art. 103 Abs. 2 GG anzuwenden und eine Regelung, wie die des Art. 316h Satz 1 EGStGB wäre verfassungswidrig.

 

Dies verneint das Bundesverfassungsgericht, wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen. Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung sei  eine "Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) eigener Art mit kondiktions- ähnlichem Charakter" (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19 -, Rn. 105ff, 106, hier zitiert nach bundesverfassungsgericht.de). Damit scheidet eine Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG für das Bundesverfassungsgericht aus.

 

Die zweite Frage betrifft den Charakter der zu überprüfenden Regelung des Art. 316h Satz 1 EGStGB als "echte" oder "unechte" Rückwirkung. Ausgehend von der Entscheidung des Senats in der ersten zentralen Frage, ist der Prüfungmaßstab folgerichtig das allgemeine Rückwirkungsverbot (BVerfG, aaO, Rn. 130). Zwar handele es sich bei der zu überprüfenden Regelung des Art. 316h Satz 1 EGStGB um eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung) (BVerfG, aaO, Rn. 135), diese sei jedoch ausnahmsweise zulässig (BVerfG, aaO, Rn. 137), da "ausnahmeweise überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen" eine "echte" Rückwirkung rechtfertigen (BVerfG, aaO, Rn. 148ff.).

 

Worin diese überragenden Belange des Allgemeinwohls bestehen sollen und welche Umstände der Senat in seine Abwägung miteinbezogen hat, ergibt sich in der gebotenen Kürze aus dem zweiten Teil der entsprechenden Pressemitteilung Nr. 20/2021 vom 5. März 2021 (hier abrufbar):

 

"Der Gesetzgeber verfolgt mit der Anordnung in Art. 316h Satz 1 EGStGB das legitime Ziel, auch für verjährte Taten vermögensordnend zugunsten des Geschädigten einer Straftat einzugreifen und dem Täter den Ertrag seiner Taten – auch im Falle fehlender Strafverfolgung – nicht dauerhaft zu belassen. Dieses Ziel ist überragend wichtig. Durch die Vermögensabschöpfung soll sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann. Die Entziehung solcher strafrechtswidrig erlangter Werte soll die Gerechtigkeit und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken.

 

Demgegenüber steht die Vertrauensschutzposition der von der Einziehung von Taterträgen Betroffenen zurück. Die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Straftat ist die schärfste dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Form der Missbilligung menschlichen Verhaltens. Jede Strafnorm enthält somit ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Daraus folgend wird dem Täter auch in vermögensrechtlicher Hinsicht der Schutz der staatlichen Rechtsordnung weitgehend vorenthalten. So ist gemäß § 134 BGB ein gegen ein gesetzliches Verbot verstoßendes Rechtsgeschäft grundsätzlich nichtig und kann über das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) rückabgewickelt werden. § 823 Abs. 2 BGB statuiert zudem bei Verstößen gegen individualschützende Strafgesetze einen umfassenden Schadensersatzanspruch des Geschädigten. Überdies lässt das Zivilrecht einen Eigentumserwerb zumindest im Bereich der Eigentumsdelikte kaum zu, da insbesondere der gutgläubige Erwerb durch Dritte gemäß § 935 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist. Soweit durch Täuschung oder Drohung auf den Geschädigten eingewirkt wurde, bestehen zudem weitgehende Anfechtungsmöglichkeiten (§ 123 BGB).

 

Diese grundsätzliche gesetzgeberische Bewertung ändert sich durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung hinsichtlich der Straftat nicht. Da der deliktische Erwerbsvorgang durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung seitens der staatlich verfassten Gemeinschaft nicht nachträglich gebilligt wird, bleibt auch das auf diese Weise erworbene Vermögen weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist.

 

Nicht schutzwürdig ist in derartigen Fällen nicht nur der bereicherte Straftäter selbst, sondern auch der Drittbereicherte, soweit dieser nicht gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen hat. Das Vertrauen von Personen, die deliktisch erlangte Vermögenswerte in kollusivem Zusammenwirken mit dem Straftäter, als dessen Rechtsnachfolger, als von ihm Vertretene oder sonst ohne eigene schutzwürdige Vertrauensbetätigung erworben haben, ist nicht stärker zu schützen als das des Straftäters selbst. § 73b Abs. 1 StGB stellt dabei sicher, dass von der Vermögensabschöpfung keine in diesem Sinne schützenswerten Dritten erfasst werden."

 

Wer die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in den letzten Jahren verfolgt hat, den überrascht eine derartige Entscheidung -insbesondere zum Charakter der Vermögensabschöpfung als Maßnahme eigener Art- nicht. Das Gericht folgt mit der Entscheidung in diesem Punkt seiner eigenen -Jahrzehnte alten- Rechtsprechung (siehe nur: BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95 –, BVerfGE 110, 1-33). Soweit das Gericht im Ergebnis die Vermögensabschöpfung im Zusammenhang mit -sonst verfolgungsverjährten- Taten vor dem Hintergrund der notwendiger, herausragend wichtiger Vermögensordnung zulässt, kann und wird dies kritisiert werden. Verschiedene Gruppen, die bereits im Verfahren angehört wurden, haben dort deutlich abweichende Ansichten vertreten. So geht der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer beispielsweise davon aus, dass die strafrechtliche Vermögensabschöpfung Strafcharakter im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG hat und eine Rückwirkung schon deshalb ausgeschlossen sei. Eine auch nur ansatzweise umfassende Darstellung aller Gegenargumente, die das Gericht zugegebenermaßen weitestgehend nicht unterschlagen hat, würde den hiesigen Rahmen wiederum sprengen und unterbleibt. Eine entsprechende Darstellung der eingeholten Stellungnahmen findet sich auch im zitierten Beschluss unter Randnummern 58 bis 97.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jo (Samstag, 11 November 2023 05:05)

    "... Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist. ..."

    Wenn aber der Staat selbst die mit "fortwährender Bemakelung" (LOL - wie ist dies mit Kriegsgewinnlern?) behafteten Vermögenswerte per "Einziehung" erwirbt, dann ist dieses Eigentum dann wieder Schutzwürdig, während die Oper leer ausgehen ? Da hat wohl Richard Wagners "Ring des Nibelungen" Pate gestanden? Der Staat selber als der "Superräuber", der einzieht, ohne die Opfer zu entschädigen und Geraubtes zurückzugeben??

    Ist das noch die Bundesrepublik Deutschland???