Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte I - Das Schweigerecht des Beschuldigten

Der Umstand, dass der Beschuldigte in einem Strafverfahren weder gegenüber der Polizei noch der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht Angaben machen muss (und sollte) war schon häufiger Thema an dieser Stelle.

 

Allerdings wurde sich hier noch nie mit den konkreten Voraussetzungen und der Reichweite des Schweigerechts auseinandergesetzt was nunmehr nachgeholt wird.

 

Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof in Strafsachen sehen die Selbstbelastungsfreiheit, auch nemo-tenetur-Grundsatz genannt, als zentrales Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens an (siehe nur: BVerfG, Beschluss vom 27. April 2010 - 2 BvL 13/07, zitiert nach bundesverfassungsgericht.de; BGH, Beschluss vom 13-05-1996 - GSSt 1/96 (LG Hamburg), NJW 1996, 2940, beck-online).

 

Rechtlich ist der Grundsatz sowohl in Art. 6 EMRK als auch in § 136 StPO verankert. Die dortige Regelung (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) lautet:

 

"Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen."

 

Belehrung und Folgen der Verweigerung

Über das Bestehen dieses Rechts zu Schweigen ist der Beschuldigte bei seiner Vernehmung zu belehren. Dies gilt analog auch bei einer schriftlichen Anhörung wie sie in kleineren Strafverfahren üblich ist.

 

Die Belehrung muss nicht den Wortlaut des Gesetzes, aber seinen Inhalt für den Belehrten vollständig und unmissverständlich wiedergeben. Sie ist so zu fassen, dass die Belehrten sie auch mit Blick auf ihr Alter und ihren geistigen bzw. körperlichen Zustand gut verstehen können (z.B. bei Jugendliche, geistig Behinderten, Psychisch Erkrankten). Spricht oder versteht der Belehrte die Vernehmungssprache nicht, ist ihm ein Dolmetscher zur Verfügung zu stellen. Rückfragen des Beschuldigten sind grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten (MüKoStPO/Schuhr, § 136, Rn. 25-30, beck-online).

 

Wenn die Belehrung gänzlich unterblieben ist oder ihr wesentlicher Inhalt falsch oder erheblich verzerrt mitgeteilt oder durch entgegenstehende Äußerungen konterkariert wurde, fehlt es an einer Belehrung (MüKoStPO/Schuhr, aaO).

 

Kam es zu einer Vernehmung ohne dass der Beschuldigte den obigen Grundsätzen entsprechend belehrt wurde, entfällt die Belehrungspflicht nicht etwa, sondern besteht als sogenannte "qualifizierte Belehrungspflicht" fort (BGH 18.12.2008 – 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112 (115 f. Rn. 13) = NStZ 2009, 281; Roxin HRRS 2009, 186 sowie Kasiske ZIS 2009, 319 (321, 323); LG Bad Kreuznach 17.3.1994 – 8 Js 3329/89 (W) KLs, StV 1994, 293 (294 f.); BGH 9.6.2009 – 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589f.). Das bedeutet, der Beschuldigte muss dann nicht nur nach den obigen Grundsätzen belehrt werden, sondern er muss auch darauf hingewiesen werden, dass seine bisherigen Angaben nicht verwertet werden können/dürfen.

 

Trotz dieses Umstands sollte sich gerade der juristische Laie nicht auf eine -vermeintlich- fehlerhafte Belehrung stützen (müssen). Nur allzu oft wird ein Gericht, zB. aufgrund standardisierter Polizeiaussagen ("Der Beschuldigte wurde ordnungsgemäß belehrt") keinen Belehrungsfehler und damit auch kein Verwertungsverbot annehmen.

 

Ratsamer ist es daher von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen und auch nicht auf einzelne Fragen oder zu einzelnen Themenbereiche Angaben zu machen, da dieses sogenannte Teilschweigen auch gegen den Beschuldigten verwendet werden darf. Demnach gilt, dass schweigt ein Angeklagter nicht umfassend, sondern macht er zu einem bestimmten Sachverhalt eines einheitlichen Geschehens Angaben zur Sache und unterlässt insoweit lediglich die Beantwortung bestimmter Fragen, so kann dieses Schweigen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von indizieller Bedeutung sein (BGHSt 38, 302, 307).

 

Der Richter darf aus diesem gesamten Verhalten auch nachteilige Schlüsse ziehen, weil sich der Angeklagte durch seine sonstigen Äußerungen in freiem Entschluss zu einem Beweismittel gemacht und sich damit der freien richterlichen Beweiswürdigung unterstellt hat (BGHSt 20, 298, 300 = NJW 1966, 209; BGH NStZ-RR 2005, 147, 148; BVerfG (K) wistra 2005, 135, 137; OLG Oldenburg NJW 1969, 806; LR-Sander Rn 78; Miebach, NStZ 2000, 234, 236 mwN) wobei anzumerken ist, dass diese Ansicht zurecht kritisiert wird (z.B. durch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst 1976, 250 ff.)

 

Verweigert der Beschuldigte vollständig Angaben zu machen, ist die Vernehmung damit nicht Ende. Dies liegt zum einen daran, dass auch über die anderen Beschuldigtenrechte -unabhängig von dem Umstand, dass der Beschuldigte schweigt- zu belehren ist. Zum anderen darf der Vernehmende sachlich versuchen, den Beschuldigten zu überzeugen, sich doch zur Aussage zu entschließen. Er darf ihm vor Augen führen, welche Nachteile eine Aussageverweigerung bzw. ein Verteidigungsverzicht rechtlich mit sich bringt, welche tatsächlichen Nachteile im konkreten Fall mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind bzw. welche Entlastung in Betracht käme. Der Vernehmende hat sich dabei aber jeder Beeinträchtigung einer autonomen Willensentschließung des Beschuldigten zu enthalten (BGH 27.6.2013 – 3 StR 435/12, BGHSt 58, 301 (304 Rn. 9) = NJW 2013, 2769).

 

In der Folge sollte das Schweigen auch in diesen -leider gerade noch zulässigen- Fällen durchgehalten werden. Oft ist es hilfreich bereits zu Beginn der Vernehmung anzukündigen eine Verteidigerkonsultation zu wünschen.

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