Neue Grenzwerte für die nicht geringe Menge bei sogenannten "neuen psychoaktiven Stoffen"

Mit Beschluss vom 21.12.2022 (3 StR 372/21, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de) legte der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Grenzwert für die Annahme einer nicht geringen Menge für 2-Fluormetamfetamin (2-FMA) auf 10 Gramm 2-FMA-Base, für 4-Fluormetamfetamin (4-FMA) auf 10 Gramm 4-FMA-Base und für 3-Methylmethacathinon (3-MMC) auf 25 Gramm 3-MMC-Base fest.

 

Der Begriff der nicht geringen Menge entstammt den Regelungen der §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 sowie 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes. Dort sind für Taten, bei denen mit eine nicht geringe Menge Betäubungsmittel umgegangen wird, teils erhebliche Strafverschärfungen vorgesehen. So erhöht sich sowohl bei dem Besitz als auch bei dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln die Strafandrohung von Geldstrafe auf mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe. Die -im zu entscheidenden Fall gegenständliche Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird sogar mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Damit handelt es sich sämtlich um Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB. Demnach ist die Frage, ob und unter welchen Bedingungen von einer nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels auszugehen ist, von essenzieller Bedeutung.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestimmt sich der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität (siehe nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 -2 StR 86/08, BGHSt 53, 89 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 -1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 -2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (BGH, Urteile vom 24. April 2007 -1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 und vom 17. November 2011 -3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). 

 

Da ebendies bei sogenannten "neuen psychoaktiven Stoffen" der Fall ist, musste der Bundesgerichtshof bzw. das zuvor mit der Sache befasste Landgericht auf die letztgenannte Verfahrensweise zurückgreifen (BGH, Beschluss vom 21.12.2022 - 3 StR 372/21, zitiert nach bundesgerichtshof.de, dort Rn. 9).

 

Konkret führt der Senat aus:

 

"Neue psychoaktive Stoffe sind in der Regel weder experimentell pharmakologisch-toxikologisch noch klinisch getestet. Berichte über Intoxikationskasuistiken mit gesicherten Erkenntnissen über inkorporierte Wirkstoffmengen sind in den zugänglichen Informationsmedien nicht zu finden. Vor diesem Hintergrund ist die Festlegung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für die Stoffe 2-FMA, 4-FMA sowie 3-MMC aufgrund eines Vergleichs mit anderen, entsprechend wirkenden Substanzen vorzunehmen, da Erkenntnisse zu der äußerst ge-fährlichen, gar tödlichen Dosis oder zu einer validen Konsumeinheit fehlen (vgl. zu diesem Ansatz etwa BGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 3 StR 155/21, juris Rn. 9; Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 Rn. 35 jeweils mwN)."

 

Verglichen werden die Substanzen 2- und 4-Fluormetamfetamin dann mit Amphetamin:

 

"Auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. ist bei den Stoffen 2-FMA und 4-FMA eine Vergleichbarkeit in der Wirkung mit Amfetamin gegeben, für das der Grenzwert der nicht geringen Menge mit 10 g Amphetamin-Base festgelegt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169, 170). Wie bereits das Land-gericht ausgeführt hat, fehlt den Stoffen 2-FMA und 4-FMA hinsichtlich der mole-kularen Struktur im Vergleich zum Amfetamin eine Methylgruppe CH3. Das Flu-ratom, welches klein ist, behindert das Andocken des Phenethylamin am Rezep-tor der Nervenzelle, so dass die behindernde Wirkung jeweils nicht groß ist. Vor diesem Hintergrund ist der Grenzwert für 2-FMA und 4-FMA wie bei Amfetamin jeweils mit 10 g Base festzusetzen. Der Sachverständige hat in dem im Revisionsverfahren ergänzend eingeholten Gutachten diese nicht geringe Menge auch für den Stoff 4-FMA - insoweit abweichend von einer früheren Veröffentlichung - mit aktuellen wissenschaftlichen Studien zu Wirkungsmechanismus, Nebenwirkungen und neueren Erkenntnissen zum Toxizitätspotenzial und unter Berücksichtigung von Informationen einschlägiger Internetplattformen, insbesondere Warnungen in Internet-Userforen, weiter begründet."

 

Zur Festlegung des Grenzwertes für 3-Methylmethcathinon wird das im Hinblick auf die molekulare Struktur ähnliche Pentedron herangezogen und der Grenzwert auf 25 g der entsprechenden Base festgelegt.

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