"Business Judgement Rule" und Informationspflichten - Neues zur Untreuestrafbarkeit

Die Strafbarkeitsrisiken von Geschäftsführern und Vorständen wegen Untreue gemäß § 266 StGB waren schon des Öfteren Gegenstand von Blog-Einträgen (z.B. hier oder hier). Nunmehr gibt der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshof erneut Anlass dazu auf die Risiken einzugehen.

 

Der 3. Strafsenat hat in einem Urteil vom 10.02.2022 - 3 StR 329/21 nochmals zu den Grenzen und den Voraussetzungen einer -strafbaren- Pflichtverletzung durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft Stellung bezogen und dabei -nach Ansicht des Autors- an die Linie einer relativen Zivilrechtsakzessorietät festgehalten, indem er weiter den Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG der Bewertung ob eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB vorliegt zugrunde legt.

 

So führt der Senat diesbezüglich aus:

 

"In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass dem Vorstand einer Aktiengesellschaft bei der Leitung der Geschäfte eines Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unterliegen. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Diese zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB (s. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57 mwN; Urteile vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 336; vom 27. Januar 2021 - 3 StR 628/19, NStZ 2021, 738 Rn. 15; kritisch dagegen Eibach/Scholz, ZStW 2021, 685). Eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage kann eine solche Pflichtverletzung indizieren. Diese ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen (BGH, Beschluss vom 17. Dezem-ber 2020 - 3 StR 403/19, wistra 2021, 324 Rn. 24 mwN)."

 

(BGH, Urteil vom 10.02.2022 - 3 StR 329/21, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de, dort Rn. 9)

 

Wie bereits angedeutet, handelt es sich nicht um eine Rechtsprechungsänderung sondern um ein Fortschreiben der, bereits seit einem Jahrzehnt vom Bundesgerichtshof vertretenen Ansicht. Interessant ist jedoch die Anwendung auf Fälle, in denen die -strafbare- Pflichtverletzung darin besteht, dass die gegenständliche Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage beruht, dem Täter also die Verletzung seiner Informationspflichten vorzuwerfen ist.

 

"Zu Informationspflichten von Vorstandsmitgliedern ist anerkannt, dass sie grundsätzlich in der konkreten Entscheidungssituation die Ausschöpfung aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art verlangen, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Die konkrete Entscheidungssituation ist danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Dementsprechend ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung "angemessene" Tatsachenbasis verschafft; je nach Bedeutung der Entscheidung ist eine breitere Informationsbasis rechtlich zu fordern. Dem Vorstand steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen (s. insgesamt BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 34 mwN)."

 

(BGH, aaO, Rn. 14)

 

Die Einschränkung dahingehend, dass sich der Geschäftsleiter den Maßstab seiner Informationsgewinnung zur Vorbereitung von Entscheidungen selbst wählen kann, ist nach den weiteren Vorgaben des Senats eine reine "Nebelkerze". Schon allein der naturgemäße Umstand, dass der Betroffene seine Entscheidung im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen trifft, also ex ante und die (straf-)rechtliche Beurteilung im Nachhinein, also ex post stattfindet, birgt das erhebliche Risiko, dass an die Informationsbeschaffung und -verwertung überzogene, durch nachfolgende Ereignisse begründete Anforderungen gestellt werden. Schon die Parameter "Bedeutung der Entscheidung" und "Faktor Zeit" haben, unabhängig von der zeitlichen Perspektive, eine stark subjektive Prägung, die dem Tatgericht einen erheblichen Spielraum bieten und für den auf Risikovermeidung bedachten Vorstand zu einem lähmenden Problem werden.

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