Der Verzicht auf Schadensersatz als Straftat - Zur Untreuestrafbarkeit beim Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatz

In einem Artikel der das laufende Strafverfahren gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG vor dem Landgericht Braunschweig zum Gegenstand hatte (hier), las der Autor, dass der aktuelle Vorstand der Volkswagen AG noch immer die Geltendmachung oder Sicherung von Schadensersatzansprüchen gegen Herrn Winterkorn wegen der mutmaßlich durch ihn (mit-)verursachten Schäden prüfe. Es war weiter die Rede davon, dass die Ansprüche gegebenenfalls auch verjähren könnten. In einem Artikel des Kölner Stadt-Anzeigers (Artikel vom 07.05.2018, abgerufen am 31.01.2021, hier) stieß der Autor dann auf eine Passage, die Grundlage des folgenden Beitrags ist:

 

"Der VW-Aufsichtsrat indes bestätigte, dass Schadenersatzansprüche gegen Winterkorn bereits  geprüft werden. (...) Würde das nicht auf den Weg gebracht, könnte der Aufsichtsrat selbst eines Vergehens beschuldigt werden, weil er die Chance nicht nutzt, von einem Verantwortlichen eine Wiedergutmachtung für finanzielle Belastungen zu erhalten."

 

Die Frage, welche sich aufdrängt ist: Stimmt das? Können sich Aufsichtsratsmitglieder, Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder strafbar machen, wenn sie Schadensersatzansprüche der Gesellschaft -im Allgemeinen- nicht konsequent verfolgen?

Die Strafbarkeit von Geschäftsführern und Vorständen wegen Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch) durch Verzicht auf Schadensersatz

Die erste (und in diesem Beitrag einzige) Strafnorm die zu dieser Frage in den Sinn kommt, ist der § 266 StGB, welcher die Strafbarkeit wegen Untreue regelt.

 

Nach § 266 StGB macht sich strafbar, wer

 

 

"die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt."

 

 

 

Aus diesem Wortlaut werden zwei Tatalternativen abgeleitet. Zum einen gibt es eine "Missbrauchsvariante" (§ 266 Abs. 1 1. Alt. StGB) und zum anderen die "Treubruchvariante" (§ 266 Abs. 1 2. Alt. StGB). Zur Vermeidung von, in diesem Rahmen unnötigen akademischen Streitigkeiten, werden zunächst die drei wesentlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 266 StGB genannt.

 

 

 

1. Das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht bzw. Vermögensfürsorgepflicht,

 

 

 

2. der Missbrauch einer Befugnis oder eine Pflichtwidrigkeit in Bezug auf eine Pflicht im Sinne der Nr. 1 und

 

 

 

3. die Nachteilszufügung (Schaden).

 

 

 

Täter einer solchen Untreue kann folglich nur sein, wen eine Vermögensbetreuungspflicht trifft (zum Begriff der Vermögensbetreuungspflicht lesen Sie hier mehr). Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften trifft regelmäßig eine solche Vermögensbetreuungspflicht. Sie sind kraft Gesetzes (z.B. Aktiengesetz oder GmbH-Gesetz) mit umfassenden Befugnissen ausgestattet, die es ihnen rechtlich ermöglichen, in unterschiedlichster Art und Weise auf das Gesellschaftsvermögen einzuwirken (z.B. mittelbar und unmittelbar Verbindlichkeiten einzugehen oder Forderungen geltend zu machen).

 

Weitaus problematischer ist in der Praxis die Frage wie weit diese Vermögensbetreuungspflicht reicht, besser: Wann man unter Einhaltung dieser Vermögensbetreuungspflicht handelt und wann ein -strafrechtlich relevanter- Verstoß gegen diese Pflicht in Form eines Missbrauchs der damit einhergehenden Befugnisse oder eine Pflichtwidrigkeit vorliegt.

 

Die Rechtsprechung bedient sich hierzu verschiedener Ansätze wobei gerade in den hier gegenständlichen Konstellationen vermehrt auf zivilrechtliche Vorgaben und Regelungen zurückgegriffen wird.

 

So sollen sich auch der Umfang und die Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht eines Vorstands einer Aktiengesellschaft nach Maßgabe des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bestimmen lassen (siehe nur: BGH 1 StR 220/09 - 13. September 2010 (LG Nürnberg-Fürth) [= HRRS 2010 Nr. 945]). Demnach sei, wenn ein Verstoß gegen § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG feststellbar ist, auch eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 StGB anzunehmen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 – 5 StR 134/15 –, juris, dort Rn. 27). Die Pflichtverletzung müsse insbesondere nicht zusätzlich noch "gravierend" sein (BGH, aaO).

 

Die Regelung wird auch "Business Judgement Rule" genannt und lautet -auszugsweise-:

 

 

"Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln."

 

 

 

Eigentlich stellt der § 93 AktG keine Strafnorm dar, es handelt sich um eine rein zivilrechtliche Haftungsnorm für Schäden die der Gesellschaft oder ihren Gläubigern entstanden sind. Die Vorschrift dient dem Schutz der Aktionäre und, wie Abs. 4 Satz 3 und 4 zeigen, über den Schutz des Gesellschaftsvermögens hinaus auch dem Schutz der Gläubiger – sie ist deswegen aber noch kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (so auch: MüKoAktG/Spindler, § 93, Rn. 1-4, beck-online).

 

Dies vorausgeschickt, stellt sich die Frage, ob ein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatz, z.B. gegen ehemalige Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer, eine Pflichtwidrigkeit nach den oben umrissenen Maßstäben darstellt.

 

Pauschal lässt sich dies -selbstverständlich- nicht beantworten. Relativ sicher kann man jedoch sagen, dass den verantwortlichen Geschäftsführer oder das verantwortliche Vorstandsmitglied eine umfassende Prüfpflicht diebezüglich trifft. Es müssen also, gegebenenfalls unter Zurateziehung von Spezialisten, die Erfolgsaussichten der Geltendmachung des jeweiligen Schadensersatzanspruches geprüft und der Prüfprozess sowie das Ergebnis entsprechend dokumentiert werden. Kommt man dann zu dem Ergebnis, dass eine Geltendmachung nicht angezeigt ist und kann dies entsprechend begründen, kann aus der Nichtverfolgung von Ansprüchen auch keine Pflichtwidrigkeit abgeleitet werden. Derartige Gründe könnten z.B. fehlende Erfolgsaussichten im rechtlichen Sinne oder die Uneinbringlichkeit der Forderung im Tatsächlichen sein. Lässt man (Schadensersatz-)Forderungen allerdings ungeprüft verjähren oder "bucht" sie ohne weitere Prüfung "aus", dürfte eine Pflichtwidrigkeit naheliegen, die es auch aus Gründen eigener zivilrechtlicher Haftung gegenüber der Gesellschaft unbedingt zu vermeiden gilt.

 

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