Das Zurschaustellen von Hilflosigkeit - Nein, nicht das "Dschungelcamp"

Hintergrund dieses Beitrags ist eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 25.04.2017 - 4 StR 244/16, im Folgenden zitiert nach www.bundesgerichtshof.de).

 

In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zum ersten Mal die Frage behandelt, wie der Begriff der Hilflosigkeit im Sinne des "neuen" § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verstehen sein soll.

 

Bevor jedoch auf die zitierte Entscheidung eingegangen wird, zunächst ein paar -vielleicht erhellende- Hintergrundinformationen:

 

Der Gesetzgeber hat in seiner grenzenlosen Weisheit befunden, dass der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs "als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" (so: Fischer, StGB, § 201a, Rn. 3) nicht ausreicht und den seit 2004 im Gesetz befindlichen § 201a StGB neu gefasst und erheblich erweitert. Da verschiedene Aspekte der Neuregelung bereits hinreichend kritisiert wurden und die Bedenken des Autors hier zu weit führen würden, soll es bei diesem Hinweis bleiben.

 

Teil dieser grandiosen Erweiterung -zur Schließung der berüchtigten "Strafbarkeitslücken"- war die Einführung des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB der da lautet:

 

"Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (...) eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,..."

 

Es stellen sich zwei Fragen. Was ist "Hilflosigkeit" im Sinne des Gesetzes und wann wird diese "zur Schau gestellt"?

 

Der Begriff der Hilflosigkeit nach dem Bundesgerichtshof

Der Bundesgerichtshof beginnt mit der Herleitung des Begriffs -naheliegend- bei dem allgemeinen Sprachgebrauch. Demnach werde unter Hilflosigkeit ein Zustand verstanden, "in dem eine Person sich  -objektiv und im weitesten Sinne– selbst nicht helfen kann und auf Hilfe angewiesen ist, ohne sie zu erhalten (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2002)" (BGH, aaO, Rn. 17).

 

Weiter stellt der vierte Strafsenat fest, dass sich aus der Entstehungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für eine nähere Eingrenzung des Begriffs ergeben. Aus der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 18/3202) soll sich jedoch ergeben, dass der Gesetzgeber einen weiten Begriff der Hilflosigkeit im Sinn hatte (BGH, aaO). Dem ist angesichts der Tendenz einfach alles unter Strafe zu stellen, -leider- zuzustimmen.

 

Bedenken wie sie nicht selten im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz geäußert werden, wischt der Bundesgerichtshof mit einem Satz fort, indem er einerseits davon ausgeht, das dadurch dass eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch den Bildinhalt hinzutreten muss eine hinreichende Bestimmtheit gegeben ist und ja die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 201a Abs. 4 StGB nicht tatbestandsmäßig wäre (BGH, aaO).

 

In Folge dieser -eher knackig kurzen- Argumentation kommt der vierte Strafsenat zu einem eher weiten Begriff der Hilflosigkeit, die fast an die Definition im Duden erinnert. Sie soll den Lesern nicht vorenthalten werden:

 

"Unbeschadet weiterer denkbarer, am Wortsinn orientierter Sachverhaltskonstellationen, deren Herausbildung der Gesetzgeber damit der fachgerichtlichen Rechtsprechung überantwortet hat (vgl. dazu BVerfGE 126, 170, 208 f.; BVerfG, Beschluss vom 1. November 2012 – 2 BvR 1235/11, NJW 2013, 365, 367), ist das Tatbestandsmerkmal der Hilflosigkeit nach dem Wortsinn und dem gesetzgeberischen Willen jedenfalls dann gegeben, wenn ein Mensch aktuell Opfer einer mit Gewalt oder unter Drohungen gegen Leib oder Leben ausgeübten Straftat ist und deshalb der Hilfe bedarf oder sich in einer Entführungs- oder Bemächtigungssituation befindet." (BGH, aaO, Rn. 18)

 

Ersichtlich will sich der Bundesgerichtshof durch den Gebrauch der Floskel "jedenfalls" nicht auf die benannten Konstellationen beschränken. Dies würde ja auch die spärlichen, in der Gesetzesbegründung erwähnten Konstellationen teilweise ausschließen (z.B. der Betrunkene auf dem Heimweg, BT-Drs. 18/2601, S. 36).

Einschränkung durch "Zurschaustellen"?

Die Bremse zieht der Bundesgerichtshof sodann über den Begriff des "Zurschaustellens".

 

Hier folgt der vierte Strafsenat dem Schrifttum und fordert mit dem Wortlaut der Regelung , dass es zu einer besonderen Hervorhebung der Hilflosigkeit durch den Bildinhalt kommt (BGH, aaO, Rn. 20). Die Hilflosigkeit muss "allein aus der Bildaufnahme erkennbar" sein (BGH, aaO).

 

In dem, der Entscheidung zugrunde liegenden Fall sollte sich eine Person eine Flasche rektal einführen, was von einer anderen Person gefilmt wurde. Da die Feststellungen des Landgerichts -an die der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz kurz gefasst gebunden ist- nicht ergaben, ob diese Aufnahmen auch die -bestehende- Bedrohungssituation widerspiegeln, beanstandet der Bundesgerichtshof u.a. die in diesem Fall erfolgte Verurteilung wegen § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dies ist nach den voragegangenen Ausführungen nur folgerichtig. Ergibt sich nicht aus der Aufnahme selbst, dass der auf den Aufnahmen Ersichtliche hilflos -weil bspw. bedroht wird oder tatsächlich derart betrunken- ist, könnte es sich je nach konkreter Handlung auch um Späße, Handlungen im Rahmen eines Fetisch oder schlicht Pornographie handeln.

 

Hieran zeigt sich, dass der Bundesgerichtshof hier in begrüßenswerter Art und Weise Einschränkungen an dem ansonsten nahezu uferlosen Tatbestand vornimmt. Weitere Abgrenzungen und tatbestandsmäßige Sachverhaltskonstellationen werden jedoch erst entwickelt werden müssen, so dass die Rechtsunsicherheit andauert.

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