Die Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen - Ein Blick auf das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie

Mit dem heutigen Tag ist das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. I, 2020, S. 569ff., hier abrufbar) in Kraft getreten. Es bringt -insbesondere- im Insolvenzrecht einschneidende Änderungen mit sich, die mittelbar auch Auswirkungen auf wirtschaftsstrafrechtliche Fragestellungen haben werden. Dies soll hier jedoch vorerst nicht interessieren.

 

Für den Strafrechtler akut wichtig und interessant wird der über Artikel 3 des oben bezeichneten Gesetzes neu eingeführte (wegen § 10 Abs. 3 EGStPO alter Fassung geht der Autor nicht von einer Änderung sondern einer faktischen Neueinführung aus) § 10 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung (EGStPO).

 

Überschrieben ist der Artikel mit "Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen" und dies ist auch schon sein ganzer Inhalt. Demnach ist der Ablauf der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO gehemmt "solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate".

Exkurs: Die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO

Ein kurzer Exkurs zum Inhalt des § 229 StPO. Er regelt die gesetzliche Höchstdauer einer Unterbrechung der Hauptverhandlung und ist damit Konkretisierung des Grundsatzes der Konzentration der Hauptverhandlung und des Grundsatzes der Beschleunigung des Verfahrens gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MRK. Sinn und Zweck einer Begrenzung der Unterbrechung der Hauptverhandlung ist es außerdem,  zu verhindern, dass sich der Eindruck von der mündlichen Verhandlung abschwächt und die Zuverlässigkeit der Erinnerung an die Vorgänge in der Hauptverhandlung beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 05. Februar 1970 – 4 StR 272/68 –, BGHSt 23, 224-226, juris, Rn. 14). Nach § 229 Abs. 1 StPO beträgt die maximale Unterbrechungsfrist 3 Wochen. Nach jeweils 10 Hauptverhandlungstagen darf die Unterbrechung jeweils einmalig bis zu einen Monat unterbrochen werden, vgl. § 229 Abs. 2 StPO. Bereits nach bisheriger Rechtslage war eine Ablaufhemmung vorgesehen, allerdings nur für den Fall, dass -so § 229 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StPO- ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann. Die Hemmung dauert höchstens 2 Monate an.

Voraussetzung und Dauer der Hemmung

Einzige Voraussetzung für die Hemmung gemäß des neuen § 10 EGStPO ist es, dass "aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie)" eine Hauptverhandlung "nicht durchgeführt werden kann".
Fraglich ist jedoch unter welchen Voraussetzungen eine Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen nicht durchgeführt werden kann oder anders: Wie weit muss gegangen werden, um eine Hauptverhandlung durchzuführen? Wer ermittelt ein Übertragungsrisiko und ab welchem Risiko kann eine Hauptverhandlung nicht mehr durchgeführt werden? Denkbar ist ja das Verhandeln mit Atemschutz und Handschuhen oder auch die regelmäßige Unterbrechung zum Lüften des Gerichtssaal. Sicher dürften die Voraussetzungen nur dann vorliegen, wenn z.B. ein Kontaktverbot, eine Ausgangssperre oder Ähnliches die Durchführung einer -öffentlichen- Hautpverhandlung verhindert. Diese Fragen werden -schlimmstenfalls- erst durch die Revisonsgerichte geklärt werden.

 

Die Höchstdauer der Hemmung beträgt, wie auch bei § 229 Abs. 3 StPO, 2 Monate.

 

Über die Regelung des § 10 Abs. 2 EGStPO gilt die Vorschrift auch für die Urteilsverkündungsfrist gemäß § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO, die in der Praxis jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt.

 

Wegen Artikel 4 des Gesetzes ist die Neuregelung bis zum 27.03.2021 befristet, die Aufhebung zu diesem Termin ist mit der Veröffentlichung des Gesetzes bereits in Kraft getreten.

Kritik

Neben der bereits oben angedeuteten Kritik an der Unbestimmtheit der Voraussetzung einer Hemmung des Ablaufs des Unterbrechungsfrist ist anzumerken, dass die Regelung insoweit über das Ziel hinausschießt, als dass anders als alle anderen Regelungen zur Unterbrechung der Hauptverhandlung, die neue Regelung nicht nach der Dauer der Hauptverhandlung unterscheidet. Ob dies dem Menschenrecht auf beschleunigte Durchführung eines Strafverfahrens genügt, darf -auf den ersten Blick- bezweifelt werden.

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