Die Greifswalder Mahnwache - Versammlungs -straf- recht

Screenshot der Präsenz der Polizei Vorpommern-Greifswald auf Facebook
Screenshot der Präsenz der Polizei Vorpommern-Greifswald auf Facebook

Wie auch dem Autor aus eigener Wahrnehmung bekannt ist (Er hat sein Büro am Greifswalder Marktplatz.), fand am frühen Abend des 14. Juni 2017 eine Mahnwache auf eben diesem Marktplatz statt. Das Thema war u.a. ein Anschlag auf den Demokratiebahnhof in Anklam sowie das Problem rechter Gewalt im Allgemeinen.

 

Nach einer gewissen Zeit sollen einige Teilnehmer dieser -nach Berichten der hiesigen Polizei angemeldeten- Veranstaltung einen Aufzug formiert und durch den Bereich der Innenstadt gezogen sein.

 

Die Polizei schritt im Ergebnis ein und verhinderte ein Passieren einer größeren Straßenkreuzung in der Innenstadt.

 

Im Zuge der Berichterstattung versuchte sich die Polizei auch an juristischen Ausführungen zum Begriff der "Spontandemonstration" ohne hierbei auf konkrete Quellen hinzuweisen.

 

Grund genug, sich einmal mit den -tatsächlichen- rechtlichen Gegebenheiten auseinanderzusetzen und insbesondere auch die strafrechtliche Relevanz einer fehlenden Versammlungsanmeldung einzugehen.

Der rechtliche Hintergrund

Der Artikel 8 des Grundgesetzes sichert einen umfassenden Schutz der Versammlungsfreiheit zu. So heißt es in der benannten Regelung:

 

"(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

 

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."

 

Der zweite Absatz stellt die Grundlage für das Versammlungsgesetz dar. Ein Bundesgesetz, welches in Mecklenburg-Vorpommern unverändert Anwendung findet, während andere Bundesländer wie z.B. Sachsen oder Bayern von der Befugnis Gebrauch gemacht haben, ein eigenes Landesversammlungsgesetz zu erlassen.

 

Das Versammlungsgesetz sieht vor, dass Versammlungen unter freien Himmel im Vorfeld angemeldet werden müssen. So lautet § 14 des Versammlungsgesetzes:

 

"1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.

 

(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll."


Verstöße gegen dieses Erfordernis können für den Veranstalter nach § 26 Nr. 2 VersG strafbar sein.

 

Da diese Regelungen erkennbar in ein Grundrecht eingreifen, sind sie "mit Vorsicht zu genießen". Immer wieder haben Verwaltungs- und Strafgerichte sowie nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht allzu starken Einschränkungen der Versammlungsfreiheit eine Absage erteilt. Sie fordern eine verfassungskonforme Auslegung der Regelungen des Versammlungsgesetzes. So entschied beispielsweise das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 23.10.1991, -1 BvR 850/88- zitiert nach jurion), dass § 14 VersG dahingehend auszulegen ist, dass Eilversammlungen zwar anzumelden sind, aber erst wenn die Möglichkeit hierzu besteht. Dies bedeutet, dass die 48-Stunden-Frist des § 14 Abs. 1 VersG insoweit keine Wirkung entfaltet. Inwieweit eine solche "Rettungsauslegung" des Bundesverfassungsgerichts, die gegen den konkreten Wortlaut des Gesetzes streitet, überhaupt zulässig ist, sieht sogar das Gericht selbst kritisch und hängt ein obiter dictum der Richterin Seibert und des Richters Henschel an, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommen (BVerfG, aaO, Rn. 42ff.).

 

Allein an diesem Beispiel dürfte ersichtlich sein, dass die Rechtsprechung und bereits unser Grundgesetz enorme Zurückhaltung bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit gebietet. Gewichtige Stimmen in der Verfassungsrechtswissenschaft halten den § 14 des Versammlungsgesetzes mit der vorstehenden Argumentation sogar für verfassungswidrig (Maunz/Dürig/Depenheuer, 79. EL Dezember 2016, GG Art. 8 Rn. 167-169).

Die Greifswalder Polizei und die "Spontandemonstration"

Nachdem soeben Gelesenen stellt sich die Frage, ob nicht der Aufzug ausnahmsweise nicht angemeldet werden musste.

 

In einem Post bei Facebook vom 15. Juni 2017, 18:24 Uhr (abgerufen letztmals am 19.06.2017, 18:01 Uhr) positioniert sich die Polizei Vorpommern-Greifswald wie folgt:

 

"Eine Legaldefinition für "Spontandemonstration" ist uns nicht bekannt. Bekannt ist uns allerdings die herrschende Rechtsmeinung dazu. Demnach ist eine von Art.8 GG gedeckte Spontanversammlung eine zeitnahe Reaktion auf ein eingetretenes Ereignis. Wenn es also z.B. in Greifswald am Tag des Farb-/Brandanschlages auf den Demokratiebahnhof in Anklam, der ja jetzt auch Thema der angemeldeten Versammlung war, einen spontanen Aufzug gegeben hätte, wäre dies ohne jeden Zweifel eine Spontanversammlung gewesen, bei der Verkehrsteilnehmer auch eine Vollsperrung der Europakreuzung hätten in Kauf nehmen müssen. Dies wäre durch Art.8 GG gedeckt gewesen. Nun ist hier aber eine Versammlung genau zu diesem Thema angemeldet worden. Die Versammlung wurde als stationäre Mahnwache auf dem Marktplatz angemeldet. Soweit alles gut. Wenn sich dann aber nach Beendigung dieser Versammlung Versammlungsteilnehmer unmittelbar entschließen noch einen Aufzug durchzuführen, dann handeln sie zwar möglicherweise spontan. Allerdings nicht mehr "spontan" im versammlungsrechtlichen Sinne, denn ihr Aufzug ist ja schließlich keine "spontane" Reaktion mehr auf ein zuvor eingetretenes Ereignis. Wenn ein solcher Aufzug eine Spontanversammlung wäre, könnten ständig die Regelungen im Versammlungsgesetz unterwandert werden."

 

Dieser Argumentation vermag der Autor nicht zu folgen.

 

Zunächst ist zwischen sogenannten Eil- oder Blitzversammlungen und Spontanversammlungen zu unterscheiden. Eilversammlungen haben einen Veranstalter und müssen auch einen Leiter haben (Erbs/Kohlhaas/Wache, 213. EL März 2017, VersammlG § 1 Rn. 27-32; BVerfG, aaO, Rn. 27f.). Bei derartigen Veranstaltungen entfällt aus verfassungsrechtlichen Gründen nur das Erfordernis einer Anmeldung mindestens 48 Stunden vor Beginn (so auch: BVerfG, aaO, Rn. 28).

 

Spontanversammlungen hingegen haben keinen Veranstalter oder Leiter (siehe nur: Erbs/Kohlhass/Wache, aaO, Rn. 30; Maunz/Dürig/Depenheuer, 79. EL Dezember 2016, GG Art. 8 Rn. 167-169). Eine Anmeldung durch eine derartige Person ist demnach denklogisch nicht möglich (Depenheuer (aaO) spricht von "technisch nicht anmeldbar"). Auch die Versammlungsgesetze der Bundesländer nehmen Spontanversammlungen vom Anmeldungserfordernis aus (so z.B. § 14 Abs. 4 VersG Sachsen). Der Umstand, dass Spontanversammlungen keinen Leiter oder Veranstalter haben, macht sie nicht unzulässig, da Art. 8 des Grundgesetzes nicht das Erfordernis eines Veranstalters oder Leiters vorsieht (Erbs/Kohlhaas/Wache, aaO, Rn. 31 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

 

Auch die Argumentation, dass es an einer Spontanversammlung fehlen würde, da die unmittelbar vorausgegangene Mahnwache angemeldet war und es demnach an einer spontanen Reaktion auf ein zuvor eingetretenes Ereignis fehlen würde, geht nach Ansicht des Autors fehl.

 

Es ist gemeinhein anerkannt, dass Spontanversammlungen sich im Anschluss an angemeldete Versammlungen bilden können (Erbs/Kohlhaas/Wache, aaO, Rn. 30 mit weiteren Nachweisen). Dies dürfte auch das übliche Prozedere sein. Soweit die Polizei also nicht tiefergehende Kenntnis darüber hat, ob ein Aufzug im Anschluss an die Mahnwache geplant war, muss von einer spontanen Entschließung ausgegangen werden. Im Übrigen ist schon nicht ersichtlich, ob es einen, in irgendeiner Form erkennbaren Leiter gab oder ob man "einfach mal losgelaufen" ist. Dass der aktuelle Anlass zeitlich nicht akut dem Aufzug vorgelagert war, hindert eine Spontanität nicht, wie bereits die sogenannten "Brokdorf-Entscheidungen" des Bundesverfassungsgerichts zeigen (BVerfG Beschluss vom 14. 5. 85, -1 BvR 233/81- u. a). So kann auch ein erneutes oder andersartiges (Weiter-)Versammeln unter den Begriff der Spontanversammlung fallen. Das der Anlass, das aktuelle Ereignis "neu" ist, ist nicht erforderlich (siehe nur: BayObLG, Beschluß vom 19. 11. 1969 - RReg. 4 a St 125/69, (NJW 1970, 479, beck-online) In diesem Fall hatten sich nach einer Gegenkundgebung gegen eine Veranstaltung der NPD mehrere hundert Personen "entsprechend einem dort gegebenen Hinweis" zu dem Hotel in dem die NPD eine Presskonferenz abhielt, begeben. Das Bayerische Oberste Landesgericht sah hierin eine Spontanversammlung.).

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass liegen nicht weitere Informationen vor, die die Veranstaltung nicht als Spontanversammlung zu werten lassen sollten, die Ausführungen der Polizei unzutreffend sind. Im Übrigen entfällt ohne ein Anmeldungserfordernis auch ein strafbarer Verstoß gegen die Pflicht zur Anmeldung.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Art.8-Fan (Montag, 19 Juni 2017 21:19)

    Sehr gute und notwendige Aufarbeitung des Geschehenen, danke dafür!