"Kalenderjahr"? - Wie weit zurück muss man bei der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht?

Im Steuerstrafrecht besteht, anders als in vielen anderen Konstellationen im allgemeinen Strafrecht sowie im Wirtschaftsstrafrecht, die Möglichkeit durch eine sogenannte Selbstanzeige gemäß § 371 AO zumindest wegen Steuerhinterziehung straffrei zu werden.

 

Allerdings ist die Straffreiheit an das Vorliegen verschiedener Voraussetzungen geknüpft (vgl. nur § 371 Abs. 1 und Abs. 3 AO). Weiter dürfen bestimmt Ausschlussgründe (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 AO) nicht vorliegen.

 

Angesichts dieser umfangreichen Anforderungen an eine -wirksame- Selbstanzeige und der Folgen einer unwirksamen Selbstanzeige, sollte peinlich genau darauf geachtet werden, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

 

Zu diesen gehört u.a. dass die Angaben in der Selbstanzeige zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart "innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre" erfolgen müssen (§ 370 abs. 1 Satz 2 AO).

 

Bei Einführung dieser Gesetzesnovelle zum 01.01.2015 war nicht klar, was unter dieser Formulierung "innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre" zu verstehen sein soll (z.B. Hunsmann, Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht - Neue Herausforderungen für Beratung und Verteidigung, NJW 2015, 113ff.; Wulf, Reform der Selbstanzeige - Neue Klippen auf dem Weg zur Strafbefreiung, wistra 2015, 166ff.). Auslegungsversuche der Literatur und der Praxis wurden, zumindest in Teilen, durch die Finanzverwaltung nicht geteilt. 

 

Relativ sicher kann man sich sein, dass mit Kalenderjahr das Jahr vom 01.01. bis zum 31.12. gemeint ist. Eine andere Auslegung wäre nur schwerlich vertretbar und ist dem Autor auch nicht bekannt. 

 

Nicht abschließend geklärt sind jedoch die folgenden, höchst praxisrelevanten Fragen:

 

1. Sind auch die bereits vergangenen Monate des laufenden Jahres in den von der Selbstanzeige zu erfassenden Zeitraum mit einzubeziehen?

 

2. Erfolgt demnach eine taggenaue Berechnung der 10-Jahres-Frist ab dem Zeitpunkt der Selbstanzeige?

 

3. Kommt es für die Frage, ob eine Steuerstraftat in den 10-Jahres-Zeitraum fällt, auf die Entstehung des diesbezüglichen Steueranspruchs an oder auf den Begehungs- oder Beendigungszeitpunkt?

 

Wulf (aaO, 167) ist (bzw. war) sich zur ersten Frage ziemlich sicher, dass es nur auf abgeschlossene Kalenderjahre ankommen kann und Steuerstraftaten im angefangenen Jahr keine Rolle spielen dürften. Dies lässt sich mit dem Wortlaut des Gesetzes sehr gut vertreten, wird aber von der Finanzverwaltung so nicht geteilt. Diese geht zwar -m.E. zutreffend- ebenfalls davon aus, dass auf volle Kalenderjahre abzustellen sei, meint aber trotzdem, dass Steuerstraftaten, die im Kalenderjahr der Abgabe der Selbstanzeige begangen wurden, miterklärt werden müssten (FinMin Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1). Eine Begründung ist dem Erlass nicht zu entnehmen. Es könnte allenfalls angenommen werden, dass diese Ansicht auf dem Umstand fußt, dass in der Gesetzesbegründung die Selbstanzeige als "Ausgangspunkt" der Berechnung der zehnjährigen Frist sein soll (BT-Drucks. 18/3018, 11). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich der Gesetzgeber letztlich für die Verwendung des Begriffs "Kalenderjahr" entschieden hat und sich auf derselben Seite der Gesetzesbegründung (BT-Drucks., aaO) der Hinweis findet, dass sich der zeitliche Berichtigungszeitraum auf zurückliegende Zeiträume beziehen soll.

 

In der Folge ist auch die zweite Frage gut zu beantworten. Sowohl die hier vorliegenden Aufsätze als auch die Kommentierung (z.B. Schauf in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371, Rn. 120; Hoyer in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 161. Lieferung, § 371, Rn. 31.1) sowie die Finanzverwaltung (aaO) gehen davon aus, dass keine taggenaue Berechnung erfolgt. Es ist auf volle Kalenderjahre abzustellen was sich wiederum mit dem Gesetzeswortlaut ("Kalenderjahr" statt "Jahr") gut begründen lässt.

 

Die dritte und letzte Frage ist ebenfalls noch nicht höchstrichterlich entschieden wobei auch hier ein gewisser Kompromiss zwischen Stimmen der Literatur und der aktuellen Verwaltungspraxis ersichtlich ist, der zu einer Zugrundelegung des Begehungszeitpunkts im Sinne des § 8 StGB führt. Demnach ist in Fällen der "aktiven" Steuerhinterziehung durch Abgabe einer falschen oder unvollständigen Erklärung auf den Abgabezeitpunkt abzustellen. Bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen soll, zumindest nach Ansicht der Finanzverwaltung auf den Vollendungszeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt des Abschlusses der wesentlichen Veranlagungsarbeiten der entsprechenden Steuerart abzustellen sein (zum Ganzen: Wulf, aaO, 167; FinMin Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1; Schauf, aaO, der jedoch eine Positionierung vermeidet). Dies lässt sich auch nach Ansicht des Autors vor dem Hintergrund der Formulierung "zu allen Steuerstraftaten (...) innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre" gut vertreten und führt -zumindest bei der "aktiven" Steuerhinterziehung zu einer erhöhten Rechtssicherheit.

 

Letztlich kann der Steuerpflichtigen bzw. ihrer Beraterin nur geraten werden, sicherheitshalber die Ansicht der Finanzverwaltung anzuwenden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine unwirksame Selbstanzeige nicht zur Strafbefreiung führt, gleichwohl jedoch den relevanten Sachverhalt der Finanzverwaltung offenbart (= Quasi-Geständnis) und auch die steuerlichen Folgen voll eintreten lässt.

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